Ein Bürger dieser Stadt berichtet – Offener Brief von Said Noor

Frankfurt im Februar 2011
Mein Name ist Said Noor. Ich bin Bürger der Stadt Frankfurt am Main. Weil alle meine bisherigen Bemühungen vergeblich waren, schreibe ich diesen offenen Brief. Ich möchte berichten, wie es dazu kam, dass ich seit zwei Jahren für mich und meine Familie eine Wohnung suche und nun in einer Notunterkunft lebe. Im Juni 2008 bin ich nach Deutschland gekommen. Ich wollte ganz schnell eine Wohnung finden, damit meine Familie, die noch in Afghanistan war, zu mir kommen konnte. Ich habe dann auch eine Wohnung gefunden. Es waren allerdings nur zweieinhalb Zimmer, aber meine Familie konnte erst mal nachkommen und ich habe gehofft, bald eine größere Wohnung zu finden. Im September 2008 sind dann meine Frau und meine Kinder nach Frankfurt gekommen. Die Hauptsache war, dass wir erst einmal alle zusammen waren.

Beim Wohnungsamt habe ich dann einen Antrag auf Registrierung gestellt. Er wurde aber abgelehnt, weil wir noch kein Jahr in Frankfurt wohnten. Nun hieß es Warten und Hoffen. Ich habe versucht, auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden. Allerdings ohne Erfolg. Wohnungen für eine große Familie gab es schon, aber für uns waren und sind sie unbezahlbar. Und es ist ja auch noch so, dass ein Vermieter, wenn er hört, dass man Ausländer ist und eine große Familie hat, nur lacht und sagt, „meine Wohnung ist nichts für Sie”. Er fragt dann nicht einmal mehr nach dem Einkommen. Das war eine ganz hoffnungslose Situation, aber ich musste damit umgehen. Dennoch fand ich solche Äußerungen sehr beleidigend. Ich habe immer weiter gesucht, manchmal kam es sogar zu einer Besichtigung, aber immer gab es nur eine Absage; immer wurde gesagt, dass man sich für jemand anderen entschieden hat. Ich glaube, es liegt daran dass wir Ausländer sind und sieben Kinder haben. Da hilft dann auch keine Kostenzusicherung.

Nach einem Jahr habe ich wieder einen Antrag auf Registrierung beim Wohnungsamt gestellt. Nach ungefähr drei Monaten kam ein positiver Bescheid, wir waren registriert und in die Kategorie „Dringlichkeitsstufe 2″ eingeordnet. Da hatten wir wieder Hoffnung. Wir glaubten so sehr, dass wir jetzt bald eine größere Wohnung finden würden, zumal eines unserer Kinder eine geistige Behinderung hat und mein ältester Sohn unter Depressionen zu leiden begann, die stationär behandelt werden mussten. Nachdem wir beim Wohnungsamt ärztliche Atteste eingereicht hatten, bekamen wir die „Dringlichkeitsstufe 1″ und wieder ein wenig Hoffnung, eine Wohnung zu finden, in der wir ein bisschen mehr Platz hätten. Leider vergeblich.

Zu allem Unglück sind dann auch noch unsere deutschen Nachbarn ausgezogen. Solange wir im Haus zusammengelebt hatten, gab es nie Streit oder Probleme zwischen uns, im Gegenteil, sie waren immer sehr freundlich zu uns. Bis dahin hatten wir auch nie Probleme mit unserem Vermieter. Dann sind neue Nachbarn eingezogen und bald haben sie uns das Leben noch schwerer gemacht als es ohnehin schon ist. So oft haben sie uns beleidigt und beschimpft. „Verpißt euch ihr Wichser, warum müsst ihr dem deutschen Staat auf der Tasche liegen” war noch nicht das Schlimmste, was sie uns gesagt haben. Ich glaube, sie trinken sehr viel Alkohol, mehr will ich dazu nicht sagen. Ständig haben sie bei unserem Vermieter angerufen und sich über uns beschwert. Die Situation ist immer schlimmer geworden und dann hat unser Vermieter uns die Wohnung gekündigt. Es kam eine Räumungsklage für Ende Januar 2011. Wir waren nun sehr verzweifelt.

Vom Wohnungsamt bekamen wir dann noch vier Angebote, aber es wurde immer eine andere Familie genommen. Es suchen eben auch noch andere, die wenig Geld haben, eine Wohnung. Ich weiß das, aber wir waren trotzdem immer sehr enttäuscht. Ich habe jede Woche beim Wohnungsamt, beim Sozialamt und bei Wohnungsgesellschaften angerufen. Ich habe immer alle Unterlagen eingereicht und habe immer deutlich gemacht, dass ich jede größere Wohnung nehmen werde. Das Wohnungsamt hat mir erzählt, dass es viel zu wenige Wohnungen für Familien gibt. Mit anderen Betroffenen, mit denen ich bei Zusammen e.V. Mitglied bin, haben wir eine Kundgebung vor dem Wohnungsamt organisiert und mehr sozialen Wohnungsbau gefordert. Die Amtsleiterin und ihre Stellvertreterin kamen zu uns und unterstützten unsere Forderung. Ich hatte schließlich einen Termin bei der stellvertretenden Amtsleiterin – leider ohne Ergebnis. Sie hat sich nie mehr gemeldet.

In dieser Situation habe ich sogar überlegt, meine Familie nach Afghanistan zurückzuschicken. Aber wie und wo sollen sie dort leben? Da wo wir herkommen gibt es weit und breit keinen Arzt, der behandeln könnte, wenn ein Kind krank würde und außerdem ist dort Krieg, seit mehr als dreißig Jahren. Ich will mich eigentlich auch nicht von meiner Familie trennen. Ich habe sie alle sehr lieb und würde sie jeden Tag und jede Stunde vermissen.

Vom Sozialamt wurde uns dann eine Notunterkunft angeboten. Und obwohl wir dort mehr Platz haben und alle zusammen sein können, ist es mir sehr schwer gefallen, mich für diese Lösung zu entscheiden. Sie ist in Sindlingen. Die Kinder haben nun sehr weite Schulwege und ich hätte doch gerne eine normale Wohnung für mich und meine Familie, keine Notunterkunft. Es ist wieder nur eine Lösung auf Zeit. Die Entscheidung dort einzuziehen ist mir wirklich sehr schwer gefallen, aber ich habe ja keine Wahl und bin auch müde vom vielen Suchen und von so vielen Enttäuschungen.

Was ich überhaupt nicht verstehen kann ist, dass die Stadt nun monatlich ca. 4000,- € für diese Unterkunft bezahlt. Für dieses Geld hätten wir doch eine normale Wohnung mieten können, die auch noch billiger gewesen wäre. Hier ist es wie in einem Ghetto. Es leben fast nur Ausländer hier, kaum Deutsche. Meine Frau, die nicht gut deutsch spricht, hat in dieser Umgebung keine Möglichkeit, etwas von der Sprache zu lernen und für die Kinder ist es auch nicht gut. Sie brauchen doch einen Platz, an dem sie sicher sind und sich zu Hause fühlen. Ich fühle mich hier wie die letzte Klasse von Mensch.

Trotzdem bin ich glücklich, dass meine Familie noch nicht zerbrochen ist. Es ist wie ein Wunder, dass der Druck unter dem wir stehen, uns noch nicht zerstört hat. Ich möchte auch noch sagen, dass ich ohne die Hilfe von Zusammen e.V vielleicht schon aufgegeben hätte. Für die Situation, in der ich mich befinde – und andere auch – mache ich die Politik der Stadt verantwortlich. Alles was ich mir wünsche ist, wie ein ganz normaler Mensch in einer ganz normalen Wohnung zu leben. Ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Vielen geht es so.

Mit freundlichen Grüßen

Said Noor

Kontakt:

Zusammen e.V. – Alt-Rödelheim 12 – 60489 Frankfurt – Tel: 069/37300389 – Fax: 069/37300390 – info@localhost/volksbildung

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